Sexualität im Alter: Intimität in langjähriger Ehe gestalten

Sexualität im Alter, darüber wird wenig geschrieben und noch weniger gesprochen und doch ist es für viele Ehepaare ein elementares Thema. Wie können Intimität und Zweisamkeit beglückend erlebt werden, wenn man schon etliche Jahre verheiratet ist? Wie kann man dabei den körperlichen Veränderungen des Alters Rechnung tragen? Dr. Wolfgang Vreemann, Facharzt für Innere Medizin, Seelsorger und ehemaliger Vorsitzender des Weißen Kreuzes e.V. weiß um die Herausforderungen und gibt Antwort.
Ein älteres Paar steht bei Sonnenuntergang am Steg eines Sees

Sexualität ist auch im Alter noch ein natürlicher Teil des Lebensweges

Eine Frau umarmt ihren Mann liebevoll. Blogbild zum Thema: Sexualtität im Alter

Vielleicht ging es Ihnen in jungen Jahren ähnlich wie mir: Es war für mich unvorstellbar, dass die „Alten“ noch irgendetwas mit Lust oder gar Sex zu tun haben könnten. Heute, wo ich selbst in der Lebensphase eines Seniors angekommen bin, sieht die Sache anders aus. Zwischen 60 und 80 Jahren fühlen sich die meisten von uns noch relativ fit und innerlich jünger, als unser Personalausweis behauptet. Viele von uns stehen noch mitten im Leben. Zum alten Eisen wollen wir noch lange nicht gehören und so ist auch Sexualität im Alter durchaus noch ein Thema.

Tatsächlich zeigt eine aktuelle Befragung von Senioren in Partnerschaft, dass in der Altersgruppe der über 50-jährigen noch deutlich mehr als die Hälfte sexuell aktiv ist, bei den über 80-Jährigen sind es immerhin noch gut 30 %. So nimmt die sexuelle Aktivität im Alter zwar statistisch gesehen ab, aber die Zahlen liegen deutlich höher, als man es erwarten würde.

Erfüllte Sexualität gibt es also auch noch in der letzten Lebensphase, und das Erstaunliche daran ist: Die Zufriedenheit mit dem eigenen Sexualleben nimmt mit dem Alter sogar eher zu als ab (auch wenn sich bei vielen die Aktivität verringert)! Dies zeigten Paar-Untersuchungen an den Universitäten Rostock, Leipzig und Heidelberg. Den meisten älter werdenden Paaren scheint es also zu gelingen, ihre Ansprüche und Vorstellungen von sexueller Sinnlichkeit an die Veränderungen im Alter anzupassen.

Meiner Erfahrung nach gilt es dabei vor allem drei Bereiche in den Blick zu nehmen:

  • gesundheitlich medizinische Aspekte, die gelebte Sexualität im Alter erschweren können
  • emotionale Bedürfnisse im Hinblick auf Sexualität im Alter, die mit unserer Prägung und den Unterschieden von Mann und Frau zusammenhängen
  • der partnerschaftliche Umgang miteinander, der gerade auch in langjähriger Ehe nicht dem Zufall überlassen werden sollte.

Lassen Sie mich diese drei Bereiche genauer erläutern und Ihnen einige praktische Hinweise an die Hand geben, was Sie im Hinblick darauf tun können, damit Sexualität im Alter noch beglückt genossen werden kann.

Scheuen Sie sich nicht, über Ihre Sexualität im Alter mit Ihrem Arzt zu sprechen

Arzt und älterer Patient

Rein medizinisch betrachtet müssen wir uns in unserer Sexualität im Alter zahlreichen Herausforderungen stellen:

  • Beim Mann können Erektionsstörungen auftreten, er verliert dadurch den Mut und auch die Lust.
  • Bei der Frau gibt es möglicherweise durch Trockenheit der Schleimhäute Schmerzen beim Geschlechtsverkehr.
  • Körperliche Beschwerden verschiedenster Art können das sexuelle Verlangen beeinträchtigen.
  • Medikamente haben entsprechende Nebenwirkungen.
  • Bestimmte Operationen verändern den Körper und untergraben das Selbstbewusstsein, der Betroffene schämt sich vor seinem Partner und vor sich selbst.
  • Die Folgen anderer medizinischer Eingriffe wie ein künstliches Gelenk, schränken die körperlichen Bewegungsmöglichkeiten ein – Angst vor dem Auskugeln der neuen Hüfte lähmt buchstäblich im Bett, obwohl vieles möglich wäre.

Wenn medizinische Probleme die Intimität beeinträchtigen, ist es wichtig, offen darüber zu sprechen und gegebenenfalls ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Viele Probleme lassen sich lösen oder zumindest lindern, wenn man sie anspricht – sei es durch medizinische Hilfe oder angepasste Verhaltensweisen. Leider scheuen sich viele Menschen, mit ihrem Arzt über solche intimen Themen zu sprechen. Dabei gehören solche Fragen für den Arzt zum Alltag.

Ein 61-jähriger Patient berichtete mir zum Beispiel von den Nebenwirkungen seiner Blutdrucktabletten auf sein Liebesleben. Nach einem offenen Gespräch konnten wir gemeinsam eine alternative Medikation finden, die sowohl seinen Blutdruck regulierte als auch seine Intimität mit seiner Frau wieder ermöglichte.

Ein älteres Paar entspannt auf einem Bootssteg. Blogbild zum Thema: Sexualität im ALter

Übrigens zeigen Studien auf der anderen Seite, dass es medizinisch gesehen durchaus auch Vorteile hat, sich in den reiferen Jahren noch sexuell zu betätigen:

  • Der Körper produziert mehr Glückshormone, die bei der Entspannung und beim Abbau von Aggressionen helfen.
  • Das Immunsystem wird gestärkt.
  • Der Schlaf ist besser.
  • Die kognitiven Fähigkeiten bleiben länger erhalten.
  • Bei älteren Frauen sinkt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Einen kleinen Wermutstropfen gibt es allerdings: Forscher der Universität Michigan (USA) fanden heraus, dass vor allem bei Männern ab 57 Jahren das Herzinfarkt-Risiko beim Geschlechtsverkehr steigt. Selbst bei nur einer intensiven Begegnung pro Woche ist die Infarkt-Gefahr doppelt so hoch wie bei dem enthaltsamen Altersgenossen. Ursache scheint dabei vor allem der immer noch vorhandene männliche Leistungsdruck und der Stress während der sexuellen Aktivität zu sein. Einige tragische Fälle dieser Art habe ich während meiner ärztlichen Tätigkeit selbst mitbekommen. Aus dieser Beobachtung ergeben sich ein paar wichtige Konsequenzen:

  • Nehmen Sie sich für das Liebesspiel sehr viel Zeit.
  • Sprechen Sie mit Ihrer Partnerin offen über die Angst vor dem Versagen, um den Leistungsdruck zu reduzieren.
  • Lassen Sie bereits vorhandene Infarkt-Risiken ärztlich behandeln und verzichten Sie z. B. bei Erektionsstörungen darauf, ohne ärztliche Rücksprache mit Medikamenten nachzuhelfen.

Entwarnung gibt es erfreulicherweise für Patienten, die bereits einen Herzinfarkt hinter sich haben. Eine Studie der Universität Ulm zeigte 2015, dass solche Menschen trotz regelmäßiger Intimität nicht häufiger von einem erneuten Herzinfarkt betroffen sind als Patienten, die völlig enthaltsam leben.

Beziehen Sie Ihre sexuelle Lerngeschichte in Ihr Eheleben mit ein

Ein älteres Paar hält sich die Hände in vertrauter Weise; Sexualität im Alter

Die emotionale Seite der Sexualität ist ein breites Feld und eines, über das wir meist ebenso wenig sprechen wie über medizinische Belange. Doch ist es mindestens genauso wichtig, wenn wir Sexualität mit unserem Partner auch im Alter noch genießen wollen. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass jeder Mensch sowie in vielen anderen Bereichen auch in der Sexualität eine individuelle Geschichte hat. Sie beeinflusst die Gegenwart – oft auch unbewusst und sie kann es uns erschweren, Sexualität heute als erfüllend zu erleben.

So macht schon das Baby im Mutterleib seine ersten Erfahrungen mit Geschlechtlichkeit im weiten Sinne. Es erlebt seine Mutter, wie sie bestenfalls liebevoll mit ihm interagiert. Später macht es lustvolle oder auch unangenehme Erfahrungen auch im Kontakt zu anderen Menschen. Werbung, die Art und Weise wie wir aufgeklärt wurden, oft auch schlechte Erfahrungen und verflossene Liebschaften, bis hin zu Traumata – all das beeinflusst unsere heutige Sicht und unseren Umgang mit Sexualität.

Je offener Sie mit Ihrem Partner über all diese Dinge sprechen können, desto besser können Sie sich gegenseitig verstehen und dementsprechend aufeinander eingehen.

„Wenn Frauen beispielsweise, aufgrund ihrer Lerngeschichte, den Sinn von Sexualität einzig mit der Fortpflanzung verknüpft haben, kann es sein, dass sie Sexualität mit dem Aussetzen der Monatsblutung ganz selbstverständlich – und vielleicht auch erleichtert – ad acta legen. Endlich ist die lästige Zeit vorbei, in der man ständig schwanger werden konnte. Erleichterung setzt ein und langsam, aber sicher ist das Land in Sicht, in dem man zwar noch als Ehepaar und Eltern zusammen ist, in dem aber Sexualität keine Rolle mehr spielt“, schrieb Gynäkologin Dr. Ute Buth einmal in einer Zeitschrift vom Weißen Kreuz, an der auch ich mitgewirkt habe.

Doch kann Sexualität in der Ehe viel mehr sein, als nur der Fortpflanzung zu dienen, gerade wenn man älter wird und dieser Aspekt in den Hintergrund rücken kann. Eine Chance, die Sie als Paar gemeinsam entdecken und ergreifen dürfen. Die poetische Sprache des biblischen Buches Hohelied macht dazu Mut. Zart und ohne falsche Scham fasst sie in Worte: „Schön bist du, zauberhaft schön, meine Freundin, und deine Augen sind lieblich wie Tauben! – Stattlich und schön bist auch du, mein Geliebter.“ Die Sinnlichkeit ist uns als ein Geschenk von Gott anvertraut, sodass wir verantwortlich mit ihr umgehen können und – ganz wichtig – dürfen.

Entdecken Sie Sexualität gerade im Alter als wertvollen Schatz Ihrer Ehe

Ein älteres Ehepaar nimmt sich in den Arm

Wir dürfen uns als Senioren-Ehepaar durchaus über die Sexualität als wertvolles Geschenk Gottes freuen. Wir dürfen sie genießen und unser Zusammensein dadurch bereichern, unserer alten Liebe zueinander neuen Schwung zu verleihen. Dabei bringt gerade die gewachsene Vertrautheit ungeahnte Freiheiten mit sich, die Sexualität im Alter besonders reizvoll machen können. So besteht im Grunde keinerlei Leistungsdruck: Als Frau muss ich nicht mehr schwanger werden und als Mann meiner Partnerin nicht mehr beweisen, wie „gut ich im Bett bin.“ So kann ich auch die angebliche Potenz meiner Altersgenossen getrost vergessen.

Leidenschaftliche Liebe sieht anders aus als in jungen Jahren. Der Vollrausch der Hormone ist vorbei. Jetzt im Alter liegt die Betonung viel mehr auf Zärtlichkeit, Nähe und Vertrautheit. Dabei müssen wir uns auch von dem Gedanken lösen, dass sich Liebe und Sinnlichkeit allein durch Geschlechtsverkehr ausdrücken lassen. Die liebevolle Massage, das Streicheln, die Zeit füreinander und das gegenseitige Berühren sind mindestens genauso wertvoll. Damit zeige ich meinem Gegenüber, dass meine Zuneigung unverändert oder sogar inniger geworden ist, trotz Altersflecken, faltiger Haut und Jahresringen.

Verstehen Sie unter Sexualität nicht nur den Geschlechtsverkehr

Händchenhalten

Sexualität ist das zentrale Element von ehelicher Partnerschaft – zumindest wenn man darunter nicht nur den Akt des Geschlechtsverkehrs versteht. Denn zu ihr gehört weit mehr als das und manchmal kann sie gerade dadurch besonders erfüllend sein, dass sie sich überwiegend auf anderem Wege ausdrückt. All das, was an Intimität, Vertrautheit, Nähe, Kommunikation und Zuwendung in der Ehe stattfindet, gehört zur Sexualität dazu. Dabei ist gerade die Exklusivität, die man seinem Partner dabei einräumt, das, was partnerschaftliche Sexualität so einzigartig und wertvoll macht. Sie ist es, die uns im positiven Sinne aneinander bindet. Sie weckt in Zeiten der Trennung die Sehnsucht nach dem anderen und schwingt vielleicht schon in den Worten mit: „Ich freue mich auf dich!“ Wie schön, wenn Partner gern nach Hause zurückkehren! Dabei ist ein guter Hinweis für den Zustand unserer Ehe, wie wir mit den Marotten unseres Partners umgehen. Stören sie uns zunehmend, sodass wir sie uns mitunter sogar verletzend und genervt unter die Nase reiben? Oder sind es gerade diese mitunter schrulligen Eigenheiten unseres Partners, die ihn so liebenswert und einzigartig für uns machen?

So bleibt Sexualität in all ihren Facetten bis ins hohe Alter ein Lernfeld, ein Bereich unseres Lebens, der aktiv gestaltet und geschützt werden will. Denn zum einen ist sie so kostbar, dass es sich lohnt, sich um sie zu bemühen. Zum anderen kann die vertraute Zweisamkeit schnell leiden oder gar verloren gehen, wenn wir uns nicht um sie kümmern. Dadurch wird Sexualität im Alter aber auch im Grunde nie langweilig.

Ein Paar über 70 erzählte mir zum Beispiel von seiner Entdeckungsreise: Nachdem der Geschlechtsverkehr aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht mehr möglich war, haben sie neue Wege der Intimität gefunden. „Wir haben jetzt mehr Zeit füreinander, berühren uns bewusster und genießen die Nähe auf eine Weise, die wir früher in der Hektik des Alltags oft übersehen haben“, berichtete die Frau mit einem Lächeln. „Solche körperlichen Begegnungen helfen jedem von uns beiden, die äußeren Alterserscheinungen ohne Abwertungen und ohne Scham anzunehmen. Denn diese Veränderungen gehören ja zu dem Menschen, den ich über viele Jahre lieben und schätzen gelernt habe.“

Ein inspirierendes Beispiel ist das verliebte ältere Paar, das ich oft im Park beobachte: Hand in Hand spazieren sie, und manchmal drückt er einen zärtlichen Kuss auf ihre Lippen. Sie haben mir einmal erzählt, dass sie nach 45 Jahren Ehe immer noch Schmetterlinge im Bauch spüren – nicht mehr so stürmisch wie früher, aber dafür tiefer und beständiger.

So gibt es Paare, bei denen Geschlechtsverkehr gar nicht mehr vorkommt. Vielleicht haben beide keine Freude mehr daran. Ob durch stillschweigende Übereinkunft oder nach langer Diskussion: Sie sind sich einig, dass sie „das“ nicht mehr brauchen und sich auch „ohne“ noch lieben – ein durchaus gangbarer Weg. Es kann sein, dass bei einem Partner durch Krankheit oder nach Operationen kein Geschlechtsverkehr mehr möglich ist und der andere verzichtet ebenfalls gern darauf.

Bei all dem ist letztlich das Gespräch mit dem eigenen Partner über die gemeinsame Intimität unerlässlich. Möglicherweise muss auch das neu gelernt werden, aber es lohnt sich. Ich kann nach Bedürfnissen und Vorlieben fragen und sagen, was ich wünsche, was mir gefällt und auch, was mir vielleicht nicht mehr möglich ist. Wenn es uns gelingt, über unsere Gefühle und Empfindungen zu reden, dann haben wir mehr zur Vertiefung unserer Beziehung beigetragen als durch eine stürmische Nacht im Bett.

Verstehen Sie Kommunikation als Schlüssel zur erfüllten Sexualität im Alter

Ein älteres Ehepaar lacht mteinander auf einem Sofa, während sie sich im Arm haben.

Viele Menschen glauben, dass regelmäßiger Sex die entscheidende Grundlage für eine stabile Ehe ist. Und auch wenn wir uns in diesem Artikel gerade so intensiv mit diesem Thema beschäftigen, tritt die Bedeutung von Sex in einer Ehe meist schon recht früh in den Hintergrund: Nach 25 Jahren Ehe sinkt die durchschnittliche Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs von anfangs dreimal pro Woche auf durchschnittlich dreimal pro Monat und weniger.

Der tatsächliche Akt des Geschlechtsverkehrs ist also offensichtlich nicht der Kitt einer Ehe. So gaben auch bei einer Umfrage unter mehreren hundert Ehepaaren (alle mindestens 25 Jahre verheiratet und zwischen 50 und 60 Jahre alt) nur 4 % der Befragten an, dass Sex für sie eine wichtige Stütze der Partnerschaft sei. Dagegen meinten mehr als 33 %, dass die gegenseitige Annahme „in guten und in schlechten Tagen“ und eine positive gemeinsame Stressbewältigung ihre Ehe stabilisiert.

Ein 75-jähriger Patient sprach mich einmal mit leiser Stimme an: „Herr Doktor, mal im Vertrauen, die Intimität mit meiner Frau funktioniert nicht mehr so richtig. Sie möchte gern, aber ich kann nicht mehr.“ Nach einem ausführlichen Gespräch stellte sich heraus, dass er nie mit seiner Frau über seine Ängste gesprochen hatte. Als er es endlich wagte, waren beide erleichtert und fanden gemeinsam neue Wege der Nähe und Zärtlichkeit.

Für ein gelingendes Miteinander in der ehelichen Gemeinschaft braucht es Absprachen. Wenn der eine Partner Geschlechtsverkehr anstrebt, aber der andere einfach nur kuscheln mag, wird es ohne Kommunikation zu Missverständnissen kommen. Manchmal bietet ein „Gewitter“ die Chance, sich über die Bedürfnisse auszutauschen. Einblicke in das Empfinden des anderen helfen, ihn oder sie besser zu verstehen. Kennen Sie die intimen Vorlieben Ihres Partners? Fragen Sie doch: „Was ist dir dabei wichtig?“ Wenn Sie dazu nicht in der Lage sind, dann schreiben Sie es zunächst auf. Sprechen Sie anschließend darüber.

Leben Sie Ihre Sexualität in den kleinen Dingen des Alltags aus

Eine älteres Paar trinkt gemeinsam Kaffee

Wie also lässt sich die Liebe, die echte tiefe Zuneigung, bis ins hohe Alter erhalten? Gewiss, die feurige und leidenschaftliche Liebe der ersten Jahre tritt meist nach mehr oder weniger kurzer Zeit in den Hintergrund. Doch leider trifft bei einigen Paaren auch das zu; sie haben sich mit ihrer Situation abgefunden und leben wie eine Zweckgemeinschaft nebeneinander her. Manche haben sich ganz auseinandergelebt und trennen sich im hohen Alter noch. Aber es muss nicht so sein, es gibt auch das erstrebenswerte Gegenteil: das total verliebte alte Paar, Hand in Hand im Park oder bei der Goldenen Hochzeit. Sie himmelt ihn an und er drückt einen zärtlichen Kuss auf ihre faltigen Lippen.

Wie die erwähnten Untersuchungen gezeigt haben, ist nicht sexuelle Aktivität der Grund dafür. Vielmehr ist es meist so: Das sinnliche Erleben von erotischen Gefühlen ist nicht Ursache, sondern Folge der gegenseitigen Annahme und Wertschätzung. Und dafür gibt es ein recht einfaches Rezept: Zur Liebe gehört auch eine Willensentscheidung, gerade in schwierigeren Lebensphasen! Ich kann mich ganz bewusst entschließen: „Ich will meinen Partner lieben, so wie er ist.“ Und ich kann mir die rationalen Argumente dafür ins Bewusstsein rufen:

  • Schließlich habe ich ihn ja bei unseren ersten Begegnungen heiß und innig geliebt.
  • Wenn ich genau hinsehe, erkenne ich immer noch die alte Schönheit.
  • Wie viele wertvolle und liebenswerte Eigenschaften hat er/sie!
  • Wie viele schöne Erlebnisse verbinden uns miteinander!
  • Wie unerschütterlich hat mein Partner in der schweren Zeit zu mir gestanden.

Diese Willensentscheidung muss ich täglich neu treffen. Dann kann eine ganz erstaunliche Wirkung eintreten: In meinem Herzen werden mehr und mehr warme Gefühle wach, ich sehe meinen Partner wieder mit anderen, neu verliebten Augen. Mit Gottes Hilfe kann das gelingen.

Eine Nachbarin erzählte mir einmal strahlend: „Mein Mann liebt mich!“ Als ich scherzhaft nachfragte, woher sie das wisse, antwortete sie: „Er hat mir viele kleine Zettel geschrieben. Die hat er an verschiedenen Orten im Haus versteckt: im Kühlschrank, am Spiegel, unter dem Kopfkissen …“ „Was für eine wunderbare Idee“, dachte ich, „die Liebe im Alltag lebendig zu halten!“

Es gibt noch weitere Erfahrungen, die zum Glück von Senioren-Paaren beitragen – als Grundlage, aber auch als Auswirkung einer tiefgründigen gegenseitigen Liebe. Eigentlich sind es ganz einfache, alltägliche Verhaltensweisen, die wir schon in der Jugend gelernt haben. Hier einige Beispiele:

Höflichkeit und Hilfsbereitschaft im Alltag (wie bei einem Ehrengast):
Sie begrüßt ihn morgens mit einem Kuss, sorgt für seine Medikamente, kocht ihm das Lieblingsgericht … Er nimmt sie zärtlich in die Arme, hilft ihr in den Mantel, hält ihr die Tür auf, bereitet morgens das Frühstück …

Aufmerksamkeiten und Komplimente:

Ein älterer Herr küsst einer Frau die Hand

Ein Strauß Blumen zwischendurch. „Du siehst heute aber gut aus!“ Die neue Auto-Zeitschrift. „Wie sportlich du noch bist…!“ Der liebevolle Blick. „Mein Schatz, ich liebe dich!“

Gemeinsame Aufgaben und Interessen:
Ganz wichtig: Pflegen von Beziehungen innerhalb der Familie. Wenn vorhanden, Beschäftigung mit den Enkeln, Kontakte zu den Kindern. Zusätzlich z. B. aktive Beteiligung an der Seniorenarbeit oder am Besuchsdienst der Gemeinde; Konzerte, Kulturveranstaltungen, Fahrradtouren, der eigene Garten usw.

Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen, der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Allerdings sollte bei allen Gemeinsamkeiten jeder seinen Freiraum, seine Rückzugsmöglichkeit behalten.

Werden Sie neugierig, Sexualität im Alter mit Ihrem Partner neu zu entdecken

Ein älteres Paar tanzt. Blogbild zum Thema: Sexualität im Alter

Diese Überlegungen stehen zwar am Ende des Themas, sie sind aber die eigentliche Grundlage und Voraussetzung für eine erfüllte Sexualität im Alter. Denn die sinnlich-erotische Begegnung beginnt nicht erst abends auf der Bettkante, sondern fängt spätestens morgens im ganz normalen Ehe-Alltag an. Es kommt auf die Atmosphäre an, die wir mit unserem eigenen Verhalten prägen.

Der Mensch ist eben ein ganzheitliches Wesen, eine Einheit aus Leib, Seele und Geist, in dem die Gefühle eine große Rolle spielen. Besonders wir Senioren müssen das beachten, wenn wir Sexualität und Sinnlichkeit als Bereicherung unserer Beziehung erleben wollen. Sie sind keine Bedingungen für Liebe und Glück. Auch ohne Sex und Erotik gibt es ein erfülltes, dankbares und zufriedenes Leben im Alter. Aber sie können ein großes Geschenk sein und bleiben – wenn wir bereit sind, uns auf Veränderungen einzustellen, offen miteinander zu kommunizieren und immer wieder neu die Entscheidung zu treffen, unseren Partner zu lieben und wertzuschätzen. Es ist ein lebenslanger Lernprozess, der uns bis ins hohe Alter begleitet und bereichert.

Weitere Blogartikel

Lernen Sie 4 Prinzipen kennen, die Siegfried Leferink dabei helfen, im Alter fit zu bleiben. Probieren Sie es selbst aus! Mit Tipps und Tricks von Gert von Kunhardt.

Hoffnung

Mit „Herzenssache“ beziehen wir uns auf unser Herz im übertragenen Sinne als dem, was uns im Innersten ausmacht. Unsere Gefühle und Gedanken sind hier zu Hause und beeinflussen unsere Entscheidungen und Aktionen. So sollten wir dem Herzen besondere Aufmerksamkeit schenken: Woran hängt mein Herz? Was bewegt es? Wie gelingt mehr Herzlichkeit? Wie findet das Herz Hoffnung? Bei allem ist es gut zu wissen, dass Gottes Herz für uns schlägt und wir mit unseren Fragen nicht allein bleiben müssen. Gott verspricht sogar dem ein „neues Herz“, der ihm glaubt. So ist ein neuer Anfang möglich.

Picture of Dr. Wolfgang Vreemann

Dr. Wolfgang Vreemann

Facharzt für Innere Medizin