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In unserer nach Leistung strebenden Gesellschaft werden Schmerz, Trauer und Enttäuschung oft als Schwäche oder persönliches Versagen verstanden. Aber auch andere Faktoren können dazu führen, Leid zu verdrängen. Das kann zum Beispiel unsere Prägung sein, unser Selbstbild oder auch die Tatsache, dass wir keinen Weg kennen, Leid in guter Weise zu verarbeiten. Dann lenken wir uns ab oder reden uns selbst gut zu, auch dann, wenn wir eigentlich mutlos und verzweifelt sind. Wir wollen den Schmerz möglichst wenig spüren und verdrängen ihn.
Die sogenannten Klagepsalmen in der Bibel bieten hierzu einen bemerkenswerten Kontrast. Die Schreiber dieser Psalmen bringen tiefes Leid und sämtliche Abgründe menschlicher Existenz schonungslos zur Sprache. Dabei fragen sie nicht danach, ob es sich überhaupt gehört, bestimmte Gedanken auszusprechen. Sie tun es einfach! Mit erstaunlicher innerer Freiheit drücken sie aus, was sie beschäftigt. So stehen sie dazu, dass Schmerz ein Teil ihres Lebens ist.
Beim Lesen der Klagepsalmen geht es weniger darum, jedes Wort auf die Goldwaage zu legen und moralisch zu bewerten. Denn jeder dieser Psalmen beschreibt in erster Linie eine sehr persönliche Not. Diese muss sich nicht unbedingt mit dem decken, was wir selbst als Leser erleben und fühlen. Trotzdem können wir anhand dieser Beispiele von Klagepsalmen verinnerlichen, was in leidvollen Situationen der Schlüssel zu neuer Hoffnung ist: sich bewusst und durchaus lautstark an Gott zu wenden.
Klage im Sinne der Klagepsalmen ist somit kein Zeichen von Schwäche. Sie ist ein mutiger Akt der Selbstfürsorge und eine besondere Art, Gott zu begegnen. Deshalb können uns diese Psalmen wegweisend sein, mit den unvermeidlichen Herausforderungen des Lebens in guter Weise umzugehen. Und der meist ähnliche Aufbau von Klagepsalmen kann uns anleiten, innere und äußere Nöte Schritt für Schritt im Gebet vor Gott hinzulegen.
Typischer Aufbau von Klagepsalmen
- Direkte Anrede: Der Beter beginnt mit einem Aufruf an Gott, sich seiner Situation zuzuwenden und ihm Gehör zu schenken.
- Klage: Dies ist der Hauptteil des Psalms: Der Beter beschreibt seine Not, sein Leiden, seine Feinde oder die empfundene Abwesenheit Gottes.
- Bekenntnis des Vertrauens: Trotz der Klage bekräftigt der Beter sein Vertrauen in Gottes Güte und Treue. Es fußt auf dem Wissen oder auch auf der persönlichen Erfahrung, dass Gott bereits in der Vergangenheit Menschen . Daraus schließt der Beter, dass Gott dies auch wieder tun wird und dass er durch seine Größe und Macht der Einzige ist, der aus jeglicher Not befreien kann.
- Bitte um Hilfe: Der Beter bringt seine spezifischen Bitten vor Gott, oft verbunden mit der Bitte um Rettung oder Trost oder der Sehnsucht nach Gerechtigkeit.
- Lobpreis und Dank: Viele Klagepsalmen enden mit einem Ausdruck des Lobes oder der Dankbarkeit, weil Gott dem Beter zur Hilfe kam, oder basierend auf der Zuversicht, dass Gott eingreifen und helfen wird.
Psalm 6 – Wahre Stärke liegt im Vertrauen auf Gott
Psalm 6 ist ein tief bewegender Klagepsalm, in dem König David seine inneren Kämpfe zum Ausdruck bringt und zu Gott um Gnade fleht.
David beginnt diesen Psalm mit der dringenden Bitte, Gott möge ihn nicht strafen. Er ist sich der Macht und Souveränität Gottes bewusst und weiß, dass er vor diesem mächtigen und souveränen Gott große Fehler begangen hat. Trotzdem sehnt sich David danach, dass dieser Gott eingreift und ihm zur Hilfe eilt. Denn er weiß auch: Gott ist der Einzige, der jetzt noch helfen kann.
„Herr, bestrafe mich nicht in deinem Zorn, weise mich nicht zurecht, solange du aufgebracht bist. Erbarme dich über mich, Herr, denn ich bin kraftlos wie ein welkes Blatt. Heile mich, denn der Schreck sitzt mir in allen Gliedern. Ich habe allen Mut verloren. Und du, Herr, wie lange willst du dir das noch ansehen? Herr, wende dich mir wieder zu …!“
(Psalm 6,2–5)
Anschließend bringt David seinen körperlichen und seelischen Zustand ausführlich zur Sprache. All das, was ihm schwer zu schaffen macht, legt er im Gebet vor Gott hin. Er spricht von Schlaflosigkeit, von Tränen und von einem durch Leid erschöpften Körper.
„Ich bin erschöpft vom vielen Seufzen, die ganze Nacht hindurch fließen meine Tränen, mein Bett ist davon schon durchnässt. Meine Augen sind vor Kummer schwach geworden, gealtert sind sie, weil ich zusehen muss, wie meine Feinde mich bedrängen.“
(Psalm 6,7–8)
Doch inmitten seiner Verzweiflung wendet sich Davids Stimmung. Nachdem er sich bei Gott ausgeweint hat, schöpft er neue Hoffnung. Denn David ist sich sicher, dass Gott sein Gebet erhören wird. Psalm 6 ist somit nicht nur ein Ausdruck menschlicher Verzweiflung, sondern auch ein Zeugnis des Glaubens an die rettende und erlösende Kraft Gottes. Es ist in Ordnung, in Zeiten der Not vor Gott Schwäche und Verletzlichkeit zu zeigen, denn wahre Stärke liegt im Vertrauen auf Gottes Gnade und Erbarmen.
Psalm 13 – Quälende Fragen sind bei Gott an der richtigen Adresse
Ebenfalls geschrieben von König David, drückt Psalm 13 eine tiefe Sehnsucht danach aus, Gott möge David in Zeiten des Leides nicht im Stich lassen. Er sehnt sich danach, dass Gott ihm nah ist und ihm helfend zur Seite steht.
In diesem Psalm bringt David seine ganze Verzweiflung fast schon vorwurfsvoll vor Gott zur Sprache. David ist ehrlich vor Gott. Er hält nichts vor ihm zurück. Alles was sein Herz schwer macht, spricht er vor Gott aus – auch seine Zweifel:
„Wie lange noch, Herr, willst du mich vergessen? Etwa für immer? Wie lange noch willst du dich vor mir verbergen? Wie lange noch muss ich unter tiefer Traurigkeit leiden und den ganzen Tag Kummer in meinem Herzen tragen? Wie lange noch darf mein Feind auf mich herabsehen?“
(Psalm 13,2–3)
Wie schnell kann uns persönliches Leid an Gott und seiner Liebe zweifeln lassen, vorwurfsvoll stimmen und existenzielle Fragen auslösen. Auch David, der an anderer Stelle als ein „Mann nach Gottes Herzen“ bezeichnet wird, kannte solche Zeiten der Verzweiflung. In Psalm 13 macht er aber auch deutlich, wie es gelingen kann, daran nicht bitter zu werden:
Er wendet sich nicht enttäuscht von Gott ab, nach dem Motto: „Wie kann er nur?“. Vielmehr bringt er all die Gedanken, die ihm so schwer zu schaffen machen, offen und ehrlich im Gebet zu Gott. Wir dürfen unsere Gefühle, Sorgen und Gedanken ehrlich vor Gott zur Sprache zu bringen.
Durch diesen entscheidenden Schritt bleibt David nicht im Klagen stecken. Er durchläuft einen inneren Prozess, an dessen Ende er findet, wonach er sich sehnt: Zuversicht, Vertrauen in Gott und neue Hoffnung:
„Doch ich will auf deine Güte vertrauen, von ganzem Herzen will ich jubeln über deine Rettung! Mit meinem Lied will ich dem Herrn danken, weil er mir Gutes erwiesen hat.“
(Psalm13,6)
In Psalm 13 breitet David seine Not nicht nur freimütig vor Gott aus. Er fasst dadurch auch Schritt für Schritt neu Vertrauen zu Gott, selbst in den dunkelsten Momenten. Psalm 13 ist ein starkes Zeugnis dafür, dass Glaube nicht bedeutet, keine Zweifel zu haben. Vielmehr geht es darum, sich zu entscheiden, Gott zu vertrauen, auch wenn wir seine Pläne nicht verstehen.
Psalm 22 – Vorausschau auf Gottes Rettungsangebot durch Jesus Christus
Psalm 22 ist ein weiteres tiefgründiges Beispiel für einen Klagepsalm, der ebenfalls König David zugeschrieben wird. Obwohl der spezifische Anlass nicht genau bekannt ist, spiegelt dieser Psalm tiefes persönliches Leid wider sowie die Erfahrung, dass Gott im Leid manchmal weit weg erscheinen kann.
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ich schreie, aber keine Rettung ist in Sicht, ich rufe, aber jede Hilfe ist weit entfernt! Mein Gott! Ich rufe am Tag, doch du antwortest nicht, ich rufe in der Nacht und komme nicht zur Ruhe.“
(Psalm 22,2–3)
In seiner Verzweiflung schildert David, wie dringend und erdrückend seine Situation ist und bittet Gott, er möge ihn retten. Dabei beruft sich David zum einen darauf, dass schon seine Vorfahren auf Gott vertraut haben. Zum anderen hält er an der persönlichen Erfahrung fest, dass Gott sein Leben seit seiner Geburt in der Hand hat:
„Doch du, Herr, hast mich aus dem Leib meiner Mutter gezogen. Du ließt mich an ihrer Brust Vertrauen fassen. Seit mein Leben begann, bin ich ganz auf dich angewiesen, von Mutterleib an bist du bereits mein Gott. Bleib mir doch jetzt nicht fern! Die Not ist so bedrohlich nah, und da ist niemand, der mir hilft!“
(Psalm 22,10–12)
Christen sehen in Psalm 22 eine Vorausschau auf das Leiden und Sterben von Jesus Christus. Denn Jesus zitierte am Kreuz die Anfangsworte dieses Psalms. Er sah sich in der Tradition der jüdischen Klagepsalmen. Aber auch die Beschreibungen der körperlichen Leiden und der Verspottung durch die Umstehenden in Psalm 22 erinnern stark an die späteren Ereignisse und Begebenheiten der Kreuzigung Jesu.
Alle, die mich sehen, verhöhnen mich, sie verziehen den Mund und schütteln den Kopf. ‚Übergib deine Sache doch dem Herrn‘, rufen sie. ‚Ja, soll Gott ihn doch retten! Er soll ihm helfen – anscheinend hat er ja Gefallen an ihm!‘“
(Psalm 22,8–9)
Nachdem David seine Not über viele Verse hinweg ausführlich beschrieben hat, nimmt der Psalm ab Vers 22 eine beeindruckende Wende. David beginnt, Gott zu loben und Gottes Treue zu verkünden. Und er spricht davon, dass die Menschen eines Tages zu Gott umkehren und ihn loben und ehren werden.
„Die Armen sollen wieder essen und satt werden. Die den Herrn suchen, sollen ihn preisen. Euer Herz lebe auf, es lebe ewig! An allen Enden der Erde wird man zur Einsicht kommen, und die Menschen werden zum Herrn umkehren. Alle Völker werden sich vor dir, Herr, niederwerfen und dich anbeten.
(Psalm 22,27–28)
Durch Jesus Christus werden diese Vorhersagen mittlerweile Stück für Stück Realität. Heutzutage gibt es viele Menschen auf der ganzen Welt, die ihr Leben Jesus Christus anvertraut haben. Sie verehren ihn als Sohn Gottes und als denjenigen, der durch seine Auferstehung ewiges Leben schenkt.
„Die kommenden Generationen werden ihm dienen. Denen, die noch geboren werden, wird man vom Herrn erzählen. Verkünden wird man zukünftigen Völkern seine Rettungstaten. Man wird sagen: ‚Der Herr hat alles vollbracht!‘“
(Psalm 22,31–32)
Psalm 31 – Das Leben in Gottes Hand
In Psalm 31 bringt König David sein Vertrauen gegenüber Gott inmitten von Leid zum Ausdruck. Er beschreibt seine innere und äußere Not. Gleichzeitig betont David, dass er sich dennoch auf Gott verlässt:
„Bei dir, Herr, habe ich Zuflucht gefunden. Lass mich nie in Schande geraten! Erweise mir deine Treue und rette mich! Neige dich zu mir herab und schenke meinem Rufen ein offenes Ohr! Befreie mich doch schnell aus meiner Not! Sei mir ein Fels, bei dem ich Schutz finde, eine Festung auf hohem Berg! Rette mich! Ja, du bist mein Fels und meine Burg! Du wirst mich führen und leiten – dafür stehst du mit deinem Namen ein.“
(Psalm 31,2–4)
Neben seiner eigenen Schuld leidet David vor allem darunter, mit verschiedenen Menschen im Unfrieden zu leben. Er erlebt Missgunst, Spott und Hohn. David wird aktiv gemieden und hat Angst vor Eskalation und Gewalt. Dieser Konflikt belastet ihn schon lange Zeit. David ist müde und erschöpft und trauert den Jahren nach, die dieser Konflikt schon gefordert hat. Eine Situation, die vermutlich viele Menschen in ähnlicher Weise kennen. Ob teilweise selbst verschuldet oder nicht – auch wir können unter zerbrochenen Beziehungen leiden. Und nicht immer gelingt es, den Frieden untereinander wiederherzustellen.
„… Noch bin ich in großer Bedrängnis, sind meine Augen trüb vor Traurigkeit, erschöpft bin ich an Leib und Seele. Voller Kummer schwindet mein Leben dahin, mit Stöhnen sehe ich zu, wie meine Jahre verrinnen. Eigene Schuld hat mir die Kraft genommen. Meine Glieder sind wie gelähmt. Meine Feinde haben dafür gesorgt, dass ich Hohn und Spott von meinen Nachbarn ernte. Meine Bekannten schrecken vor mir zurück; wer mich auf der Straße sieht, geht mir eilig aus dem Weg.“
(Psalm 31,10–13)
In seiner Not spricht David von Gott als seinem Felsen und seiner Festung – Metaphern, die Stärke und Sicherheit vermitteln. Diese Bilder sind besonders kraftvoll. Sie machen Mut, auf Gott zu vertrauen, dessen Möglichkeiten und Verlässlichkeit über menschliche Fähigkeiten hinausgehen.
So bietet Psalm 31 ein Beispiel, wie man inmitten von Schwierigkeiten neue Hoffnung schöpfen kann. Dieser Psalm lädt uns als Leser ein, über unsere eigenen begrenzten Fähigkeiten hinaus mit Gottes Möglichkeiten zu rechnen, der uns in Zeiten der Not beistehen möchte. Diese Einladung gilt uns auch dann, wenn wir bisher nicht viel mit Gott am Hut hatten.
„Ich aber, Herr, vertraue auf dich! Ich sage es und halte daran fest: ‚Du bist mein Gott! Alle Zeiten meines Lebens sind in deiner Hand. Rette mich auch jetzt aus der Gewalt meiner Feinde und vor denen, die mich verfolgen! Wende dein Angesicht mir, deinem Diener, freundlich zu! Sei mir gnädig und rette mich! Herr, weil ich dich anrufe, lass mich nicht in Schande geraten …‘“
(Psalm 31,15–18)
Psalm 42 – Sehnsucht nach Gott
Psalm 42 gehört zu den sogenannten „Klageliedern der Korachiter“, den Nachkommen Korachs, die als Sänger im Tempel tätig waren. Der Psalm beginnt mit dem bildlichen Vergleich eines durstigen Hirsches, der nach Wasserströmen lechzt, was die tiefe Sehnsucht des Beters nach der Gegenwart Gottes verdeutlicht.
„Wie der Hirsch nach frischem Wasser lechzt, so lechzt meine Seele nach dir, o Gott. Meine Seele dürstet nach Gott, ja, nach dem lebendigen Gott …
(Psalm 42,2–3)
In den Versen 3 bis 4 erinnert sich der Schreiber dieses Klagepsalms wehmütig an vergangene Zeiten, in denen er Gottes Nähe erlebt hat. Er vermisst sie schmerzlich und würde sie gern erneut durchleben. Möchten Sie manchmal auch am liebsten die Zeit zurückdrehen und schöne Momente noch einmal erleben? Gibt es vielleicht sogar Situationen aus der Vergangenheit, die sie rückblickend positiv mit Gott verknüpfen?
„Ich erinnere mich an frühere Zeiten, lasse meinen Gedanken und Gefühlen freien Lauf: Wie schön war es doch, als ich mein Volk zu Gottes Heiligtum führte, begleitet von Jubel und Dank, im feierlichen Festzug mit vielen Menschen!“
(Psalm 42,5)
In Psalm 42 folgt auf die Erinnerung eine Art Refrain, der sich am Schluss des Psalms wiederholt. Der Psalmbeter spricht sich darin selbst Mut zu. Allerdings nicht grundlos. Das Nachsinnen über vorangegangene Zeiten hat bewirkt, neu Vertrauen auf Gott zu schöpfen. Im Psalmbeter entsteht die Zuversicht, dass Gott helfen wird:
„Warum bist du so bedrückt, meine Seele? Warum stöhnst du so verzweifelt? Warte nur zuversichtlich auf Gott! Denn ganz gewiss werde ich ihm noch dafür danken, dass er mir sein Angesicht wieder zuwendet und mir hilft. Ja, er ist mein Gott.“ (Psalm 42,12)
Psalm 51 – Vergib mir meine Schuld!
Psalm 51, oft als der „Psalm der Reue“ bezeichnet, wurde von König David verfasst, nachdem der Prophet Nathan ihn wegen seines Ehebruchs mit Batseba und des Mordes an ihrem Ehemann Uria zur Rede stellte. In diesem Psalm reflektiert David seine Schuld und fleht bei Gott um Gnade und Vergebung.
Der Psalm beginnt mit einem eindringlichen Appell an Gottes Barmherzigkeit, basierend auf Gottes Güte und Bereitschaft, zu vergeben:
„Sei mir gnädig, o Gott – du bist doch reich an Gnade! In deiner großen Barmherzigkeit lösche meine Vergehen aus! Wasche meine Schuld ganz von mir ab, und reinige mich von meiner Sünde!“(Psalm 51,3–4)
In bemerkenswerter Ehrlichkeit erkennt David daraufhin seine Sünde voll und ganz an sowie das Recht Gottes, zu richten. Dadurch bringt er ein Grundproblem von Sünde zur Sprache: Sie richtet sich nie nur gegen Menschen, die durch unser Fehlverhalten zu Schaden kommen können. Schuld richtet sich vor allem gegen Gott und seinen Willen. Sie entzweit uns von Gott und trägt uns von einer vertrauensvollen intakten Beziehung zu Gott weg.
„Denn ich erkenne meine Vergehen, und meine Sünde ist mir ständig vor Augen. Gegen dich allein habe ich gesündigt, ja, ich habe getan, was in deinen Augen böse ist. Das bekenne ich, damit umso deutlicher wird: Du bist im Recht mit deinem Urteil, dein Richterspruch ist wahr und angemessen.“ (Psalm 51,5–6)
David ist sich bewusst: Schuld ist ein so grundlegendes Problem in unserem Leben, dass er Gott um einen vollumfänglichen Neuanfang bittet. David wünscht sich nicht nur, dass Gott seine Schuld tilgt. Er möchte von innen heraus vollkommen erneuert werden und ein reines Herz haben, das nach Gottes Willen fragt und lebt.
„Erschaffe in mir ein reines Herz, o Gott, und gib mir einen neuen, gefestigten Geist. Schick mich nicht weg aus deiner Nähe, und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir. Lass mich wieder Freude erleben, wenn du mich rettest. Hilf mir, indem du mich bereit machst, dir gerne zu gehorchen.“(Psalm 51,12–14)
Besonders bemerkenswert ist außerdem Davids Bewusstsein, dass es Gott nicht um fromme Rituale und Übungen geht. Vielmehr hat Gott Gefallen daran, wenn wir unser Fehlverhalten von Herzen bereuen und uns daher seiner Weisung neu anvertrauen:
„Dir liegt nichts daran, dass ich dir Tiere als Schlachtopfer darbringe – ich würde es sonst bereitwillig tun. Nein, nach Brandopfern hast du kein Verlangen. Ein Opfer, das Gott gefällt, ist tiefe Reue; ein zerbrochenes und verzweifeltes Herz wirst du, o Gott, nicht zurückweisen.“(Psalm 51,18–19)
Psalm 51 ist somit ein Psalm der Hoffnung und der Erneuerung. David zeigt, dass trotz der Schwere der Sünde Vergebung möglich ist, wenn man sich mit einem aufrichtigen Herzen Gott zuwendet. Kein Fehler ist zu groß, um nicht vergeben zu werden, und keine Seele zu verloren, um nicht erneuert zu werden. Er ermutigt uns, mit Schuld und Versagen Zuflucht in der grenzenlosen Gnade Gottes zu suchen.
Psalm 88 – Gott hält unser Klagen aus
Psalm 88 ist einzigartig unter den Psalmen, da er durchgehend einen Ton der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit beibehält, was ihn zum dunkelsten aller Psalmen macht. Er wird Heman zugeschrieben, einem Mann, der möglicherweise am königlichen Hof in Israel tätig war.
Der Psalm beginnt mit einem dringenden Gebet um Gottes Aufmerksamkeit in der Nacht, einer dunklen und einsamen Zeit. Der Beter beschreibt, wie er sich am Rande des Todes von Gott verlassen fühlt.
„Herr, mein Gott und Retter, Tag und Nacht komme ich vor dich und schreie zu dir.Lass mein Gebet zu dir dringen! Schenk meinem Flehen ein offenes Ohr!Denn meine Seele hat schon mehr als genug Leid erfahren. Ich bin an der Schwelle des Todes angelangt.“(Psalm 88,2–4)
Der Psalmschreiber setzt seine Klage fort, indem er beschreibt, wie seine Freunde ihn meiden und er sich völlig isoliert fühlt. Er spricht von seiner Schwäche und der Nähe zum Tod, was typisch für Klagepsalmen ist. Allerdings ist ungewöhnlich, dass er ohne eine Wendung zur Hoffnung endet.
Dieser Psalm bietet eine ehrliche Darstellung menschlichen Leidens und des Gefühls, einsam und verlassen zu sein. Er zeigt, dass solche Gefühle zu unserem menschlichen Erleben dazugehören. Genauso ist das Aussprechen solcher Empfindungen vor Gott Teil einer ehrlichen Beziehung zu ihm. Es ist in Ordnung, unsere tiefsten Ängste und Schmerzen vor Gott zu bringen, selbst wenn wir keine sofortige Lösung oder Erleichterung finden.
Psalm 130 – Gott ist zur Vergebung bereit
Psalm 130 gehört zu den Liedern der Wallfahrt, die von den Israeliten gesungen wurden, während sie zu den großen Festen nach Jerusalem pilgerten. In der christlichen Tradition hingegen wird er oft als einer der sieben Bußpsalmen zitiert. Wer diesen Psalm ursprünglich schrieb, ist nicht eindeutig belegt. Doch klar ist: Es handelt sich um das Gebet eines Menschen, der sich in einer tiefen Notlage befindet und verzweifelt zu Gott ruft.
Dabei beginnt der Beter mit der intensiven Bitte an Gott, ihn zu erhören und sich seiner zu erbarmen. Er spricht von den „Tiefen“, was metaphorisch für schwere Lebenskrisen oder seelische Nöte stehen kann.
„Aus der Tiefe schreie ich zu dir, Herr! Herr, höre meine Stimme, schenk meinem lauten Flehen ein offenes Ohr! Wenn du, Herr, die Sünden anrechnen willst – wer kann dann noch vor dir bestehen, o Herr?“
(Psalm 130, 1–3)
Dabei sticht der starke Akzent auf Vergebung besonders hervor. Der Psalmbeter ist sich seiner Sünden offenbar bewusst. Doch er weiß auch, dass er bei Gott Vergebung finden kann. Daraus schöpft er Hoffnung.
„Doch bei dir gibt es Vergebung, damit die Menschen dir in Ehrfurcht begegnen. Ich hoffe auf den Herrn, ja, aus tiefster Seele hoffe ich auf ihn. Ich warte auf sein rettendes Wort.“
(Psalm 130,4–5)
Dieser Aspekt der göttlichen Vergebung ist zentral für das christliche Verständnis der Beziehung zwischen Gott und Mensch. Psalm 130 ist daher ein wunderbares Beispiel dafür, wie im Glauben selbst in den dunkelsten Zeiten Hoffnung gefunden werden kann. Egal, wie tief wir fallen, zu Gott können wir rufen und er ist bereit, zu vergeben und zu erlösen.
„Doch wenn wir unsere Sünden bekennen, erweist Gott sich als treu und gerecht: Er vergibt uns unsere Sünden und reinigt uns von allem Unrecht, das wir begangen haben.“
(1. Johannes 1, 9)
Hat Sie ein Aspekt der Klagepsalmen besonders angesprochen oder haben Sie Fragen? Wir sind gern für Sie da! Schreiben Sie uns einfach eine Nachricht. Wir freuen uns, mit Ihnen ins Gespräch zu kommen.